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Die Ästhetik des Verfalls 
- Gedanken zur 
Ausstellungseröffnung
im Gut Gasteil

Ein Auszug der Eröffnungsrede von Maria Holter zur
Ausstellung in Gut Gasteil im Mai/ Juni 2021

www.gutgasteil.at

Bisweilen schießen
die zerklüfteten
Zusammenballungen
von Materie 
wie Asteroiden 
durchs All. 

Auf dem Steinmauerwerk der ehemaligen Scheune präsentiert Kuratorin und Hausherrin Charlotte Seidl einen echten „Eye-Catcher“, eine beeindruckende, in Grautönen gehaltene großformatige Pastellarbeit von 2018 aus der Serie fragments, auf die wir später noch zu sprechen kommen werden. Die Reihe portrayal – vorwiegend in Tusche auf Papier gemalte Porträts mittlerer Größe, einzeln gerahmt, einander paarweise zugeordnet oder zu kleinen Gruppen in der Scheue zusammengefasst – verdient aber bereits an dieser Stelle unsere Aufmerksamkeit, da sie in der Entwicklung des Oeuvres der spätberufenen bildenden Künstlerin eine wichtige Rolle einnimmt. 
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Aus der familiären und beruflichen Beschäftigung mit dem Menschen in all seinen Dimensionen erwachsen die hier ausgestellten Tuscheblätter meist anonymer Personen, davor schon Ölgemälde ihrer Familienmitglieder. Eisenköcks Bewunderung für die stark lavierten, auf dem Papier zerfließenden Porträts der südafrikanischen Künstlerin Marlene Dumas sind in manchen Arbeiten der portrayals seit 2015 noch spürbar. Ihre spezifische „Handschrift“ und die empathische Begabung machen jedoch jedes Blatt zu einer eigenständigen, unverwechselbaren künstlerischen Äußerung, die der Betrachterin oder dem Betrachter die Deutungshoheit über das Wahrgenommene gerne überlässt. Es sind, wie die Künstlerin zum Entstehungsprozess erzählt, „ganz schnelle Blätter“. Aus Zeitungen, Büchern und anderen Medien sucht sie sich möglichst kleine Fotos ausdrucksstarker Gesichter „damit man nicht in die Genauigkeit hineinpurzelt“. Geben die expressiven Tuschemalereien möglicherweise auch Auskunft über die eigene Gestimmtheit beim Malen? Eisenköck: „Eigentlich nicht, es geht eher um das Aufspüren der eigenwilligen Charakteristika einer porträtierten Person, das Festhalten der Emotion, die das jeweilige Antlitz auslöst.“
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Blumengebinde, deren Metamorphose Eisenköck von der vollsten Blüte bis zum Zerfall beobachtet und – vermittelt über Handyfotografien – in Bleistiftzeichnungen „o.T.“ mit leichten Farbstifteinsprengseln übersetzt. Auffällig ist schon hier, dass die intakte Blüte für die Künstlerin weniger von Interesse ist, als die sich auflösende Form der verwelkenden. Weitere Abstraktionsmöglichkeiten, wie Detailvergrößerung, die Wahl eines verfremdenden Bildausschnitts oder einer ungewöhnlichen Perspektive, tragen zu den Bildfindungen in Schwarzweiß mit nuancierten Grauabstufungen bei. Eine dramatische Lichtführung und die damit einhergehende hyperrealistische Plastizität, die auch die fragments kennzeichnen wird, kündigt sich bereits in den Bleistiftzeichnungen an. Das satte, tiefe Schwarz mancher Blütenfragmente wird zum „schwarzen Loch“, das uns in den Bildgrund hineinzieht und an anderer Stelle wieder ausspeit.

Bei den fragments schließlich potenzieren sich die eben beschriebenen Charakteristika durch den Einsatz von glühender Farbigkeit, die das Medium der Pastellmalerei für Eisenköck neu eröffnet. Mit Pastell lassen sich sowohl pastose Farberlebnisse als auch feine Farbübergänge und graphische Details erzielen. „Es wird Pigment weggenommen und wieder hinzugefügt bis ausreichend Plastizität da ist … eine durchaus staubige Angelegenheit“, bei der nicht erst seit Covid-19 Mundnasenschutz getragen werden muss, wie Eisenköck erzählt. Die surreale Wirkung der fotorealistisch gemalten, jedoch expressionistisch überhöhten Blüten- und Pflanzenfragmente, die bisweilen an die erotischen Blütenporträts Georgia O‘Keeffes erinnern, steigert sich durch deren Dynamisierung im Raum, man möchte eigentlich Kosmos dazu sagen. Bisweilen schießen die zerklüfteten Zusammenballungen von Materie wie Asteroiden durchs All. Was war zwischen den vergleichsweise ruhigen Bleistiftblättern und diesen „Powerpics“ geschehen?

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Eisenköck findet Reste von Softpastell, cremige Pastellpasten in Farbtiegeln. Die ersten Versuche, noch in Schwarzweiß (wie die eingangs erwähnte Arbeit fragments 2), ziehen sie sofort in ihren Bann und sie entwickelt eine ausgeklügelte Hybridtechnik aus Zeichnen, Malen, Wischen, Wegnehmen und neuerlicher Übermalung – das alles unter Zuhilfenahme von Malschwämmchen anstelle von Pinsel und vieler, vieler Schichten Fixativ, um die Pigmente dauerhaft an den Bildträger zu binden. Ein langwieriger Prozess, aber wann ist Schluss? „Aus der Architektur habe ich die genaue Planung mitgenommen – ausgehend von der Fotografie wird ein erstes Bild entworfen, dann herumgetüftelt und schließlich kommt die Endausführung im großen Format, so lange, bis ich das Gefühl habe, dass es passt.“ Was wir in Gasteil sehen, „passt“! 

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