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Pflanzenphantasmagorien  
und Porträts
- Gedanken zu Arbeiten  
von Angela Eisenköck

Ein Text von Christa Steinle

Das
Imaginäre
und 
Traumhafte

Angela Eisenköck beschäftigt sich seit rund 15 Jahren mit Malerei und Grafik. Bereits in den 1970er Jahren, während ihres Studiums der Architektur an der Technischen Universität Graz, verspürte sie den starken Wunsch einer kreativen Auseinandersetzung mit bildender Kunst. Dort sammelte sie ihre ersten Erfahrungen im künstlerischen Gestalten am Institut für Baukunst bei dem heute vor allem als Jazzmusiker bekannten Adelhard Roidinger, der auch Vorlesungen zu kybernetischen Methoden hielt. Aufgrund vielfältiger familiärer Verpflichtungen konnte sie sich ihren Wunsch nach eigenständigem künstlerischem Schaffen erst drei Jahrzehnte später erfüllen. In verschiedenen Kursen hatte sie sich in der Technik der Öl- und Aquarellmalerei perfektioniert. Im Fokus ihrer künstlerischen Ambition stand zunächst die Porträtmalerei. Vor allem bewunderte sie die oftmals verstörenden Bilder menschlicher Figuren der südafrikanischen Malerin Marlene Dumas. Mit großer Energie und Konsequenz widmete sich Angela Eisenköck diesem klassischen Thema der Kunst, ihre Modelle fand sie in ihrer Familie oder im Kreis der ihr nahestehenden Personen. Nach fotografischen Vorlagen werden diese Momentaufnahmen beispielsweise ihrer Töchter, ihres Sohnes, in einfachen Posen und einem präzisen Realismus in Ölmalerei übertragen. Mit weicher Pinselführung und flüssig gesetzten Lichtakzenten vor einem unbestimmten, atmosphärischen oder auch monochromen Hintergrund erscheinen ihre Figuren in bildlicher Ruhe als stimmungsvolle Impressionen. In gewisser Weise muten sie rätselhaft oder melancholisch an, als ob ein Geheimnis in diesen stillen Bildern stecken würde, welches sich nur dem zärtlichen Blick der Mutter verrät. Daneben entstand auch eine Serie von Tuschpinselzeichnungen in Hochformat von Porträtköpfen in einer sehr reduzierten Farbgebung mit starken Hell- Dunkelkontrasten. Die bildfüllenden Köpfe, deren zentrierte Blickrichtung auf den Betrachter und deren Ernsthaftigkeit oder sogar Strenge im Ausdruck, wirken psychologisch aufgeladen.

2018 beginnt eine neue Werkphase mit großformatigen Pastellen auf Leinwand mit dem Titel „Fragments“. Während eines Spitalsaufenthalt beobachtete Angela Eisenköck das langsame Vergehen der vielen prächtigen Blumensträuße in ihrem Krankenzimmer und dieser Verfallsprozess provozierte ihre Wahrnehmung bzw. weckte in ihr den Willen zur künstlerischen Darstellung. Sie begann zunächst auf einem Skizzenblock in kleinformatigen Bleistiftzeichnungen die verwelkenden Blüten und Blätter festzuhalten. Dieses Phänomen der Vergänglichkeit der Natur rückte immer mehr in den Fokus ihres künstlerischen Interesses und verlangte nach weiterer intensiver ästhetischer Auseinandersetzung. Seither schult sie ihr Auge zur künstlerischen Formfindung an den pflanzlichen Motiven der Natur. Aber nicht die üppige Pracht der floralen Welt reizen sie zu zeichnen und zu malen, sondern die unscheinbaren, verkrümmten Blätter beispielsweise einer verblühten Rose, in ihrem Zustand des Verwelkens und Absterbens, oder ein vertrockneter Zapfen, der vom Nadelbaum abgefallen ist. Sowie auch Georgia O’Keefe in ihren Gemälden von Blumen und Früchten die Schönheit der Natur in gering geschätzten Pflanzen entdeckte, beispielsweise im 1926 entstandenen Bild „Cos Cob“ (University of Oklahoma), wo sie die Zartheit der Blätter des sogenannten Stinkkohls zur Geltung brachte.
Der Entstehungsprozess bis zum vollendeten Gemälde ist äußerst langwierig, erklärt die Künstlerin. Zunächst entsteht eine Farb-Fotoserie Serie von welken Blumenmotiven, wobei der Lichteinfall eine wesentliche Rolle spielt. Die Fotos werden nachträglich mit Bleistift oder Buntstiften bearbeitet und danach nochmals fotografiert und mittels Computer perfektioniert und somit in einen neuen Zustand transferiert. Nun wird das Foto auf die Leinwand projiziert, wobei die Formate von 145x135cm bis 200x155cm variieren. Das Motiv der Blüte oder des Blattes wird in Form und Farbe verändert, bekommt ein abstraktes Eigenleben. Für diese Serie entwickelte sie nun eine spezifische Technik auf Basis der Pastellmalerei. Zuerst wird der Kontur erfasst und dann beginnt sich das Ausgangsmotiv langsam zu wandeln, durchwandert verschiedene Stadien. Die Pastellpigmente und Kreiden werden vorsichtig gemischt und verwischt, um bestimmte feine Farbnuancen in Blau und Weiß oder starke, eruptive Effekte in flammendem Rot oder glühendem Gelb zu erzielen. Die empfindliche Pastellfarbe muss fixiert werden, dann kann weitergearbeitet werden; neue Perzeptionsfelder öffnen sich nach jeder Schicht, bis ein letztes Stadium erreicht ist, das Gemälde für sie vollendet ist. Manchmal ist die Assoziation an eine Blüte nach dem Verfremdungsprozess noch eindeutig, dann wieder dominiert ein abstraktes Eigenleben. Es sind versprengte Formelemente, rätselhaft und geheimnisvoll, die mit expressiver Bewegtheit aus Nebelschwaden einer seltsam fernen Traumlandschaft auftauchen und zu schweben scheinen oder vielleicht die floralen Überreste einer Pflanze bilden, die in einem undurchdringlichen Urmeer treiben. In der Arbeit von Angela Eisenköck konvergieren mehrere aktuelle Tendenzen der Bildkunst. Erstens, ein wieder erwachtes Interesse an Naturphänomenen, besonders der Pflanzenwelt, aufgrund der Klimakrise. Zweitens, die Migration der Medien, das heißt ein Wandern der Bildidee von einem Medium zum Nächsten, von Zeichnung zu Foto zu Malerei, zwischen diversen technischen Trägermedien, wie Papier und Bildschirm und zurück. In der Geschichte der Malerei gibt es innerhalb der Landschafts- und Naturmalerei immer wieder ganz besondere Momente, in denen sich der Maler der Natur mit einem beinahe mikroskopischen Blick nähert und daher Pflanzen und Kleintiere minutiös abbildet. Ein eigenes Genre hatte der holländische Barockmaler Otto Marseus van Schrieck (1619/20 – 1678) mit seinen Waldstillleben (Sottobosco) entwickelt, indem er sich ganz auf die Darstellung der Flora und tierischer Lebewesen auf dem Boden des Waldes konzentrierte. So beispielsweise in seinem Gemälde „Unkraut mit Schlange und Schmetterlingen“ (1670er Jahre, Nationalmuseum Stockholm), wo er sogar die realen Flügel eines Schmetterlings in die Leinwand drückte. Die Pflanzenmalerei erfährt im Zeitalter des Anthropozäns eine nachhaltige Renaissance. Viele Kunstmuseen gestalten Ausstellungen zu Pflanzen und Blumenstillleben aus ihren Sammlungen und publizieren entsprechende Kataloge. Besonders die Künstlerin, Maria Sibylla Merian (1647 – 1717), erfährt eine erhöhte Anerkennung ihres künstlerischen Werkes, das zuletzt 2017/18 im Städelmuseum Frankfurt zu sehen war. Sie hat nämlich als Naturforscherin mit wissenschaftlichem Interesse schon vor über 300 Jahren eine Enzyklopädie der Pflanzenwelt grafisch dargestellt. Auch Naturwissenschaftler wie Ernst Haeckel (1834 – 1919), der die Meeresorganismen in seinen „Kunstformen der Natur“ (1899) beschrieben und gezeichnet hat oder der Botaniker und Kulturphilosoph Raoul Heinrich Francé (1874 – 1943), der seine Bücher als anerkannter Grafiker selbst illustrierte, oder der neusachliche Fotograf Karl Blossfeldt (1865 – 1932), der in Detailaufnahmen von Pflanzen „Urformen der Kunst“ (1928) erkannte, erfahren aktuell erneut große Wertschätzung. Der Blick auf die Tier- und Pflanzenwelt hat sich im Zeitalter der Klimakrise wiederbelebt und verstärkt. Die transmediale Tendenz der Bildkunst in der Malerei, wie sie sich in der Arbeit von Angela Eisenköck manifestiert, hat sich in den 1960er Jahren bereits entwickelt: Malerei auf der Grundlage von Fotografie war die Erfolgsformel von Künstlern wie Gerhard Richter und Andy Warhol. Zeitgenössische österreichische Maler wie Hubert Schmalix, Herbert Brandl, Rudi Molacek oder Markus Huemer, der sich in einer Serie direkt auf Maria Sybilla Merian bezieht, verfolgen solche Praktiken wie selbstverständlich. Viele KünstlerInnen nutzen das visuelle Angebot des Internets. Sie nehmen nicht nur Fotografien, sondern auch computergenerierte Bilder als Vorlage für ihre Gemälde. Die aktuelle relevante Bildkunst mäandert zwischen den diversen technischen Trägermedien. Angela Eisenköck positioniert sich mit Ihren Gemälden dabei auf eine besondere Weise. Ihre Leistung kann am besten durch einen Vergleich mit der Zivilisationsanalyse des Anthropologen Claude Levy Strauss erklärt werden. Dieser schrieb in seinem Buch „Das Rohe und das Gekochte“ (1976), dass der Zivilisationsprozess auch erkennbar sei an dem Maße, in dem rohes Fleisch in mehreren Stufen der Kochkunst einen Prozess durchläuft, bevor es auf dem Teller landet. Gerade darin besteht die Kunst von Angela Eisenköck. In einer sehr differenzierten Technik, im Ablauf von medialen, visuellen Subsystemen und Subprozessen, fast algorithmisch wie ein Kochrezept, durchläuft die Bildidee mehrere Routinen und Programme, wird die Bildidee immer mehr gefiltert, prozessiert, gesiebt und verändert. Dadurch entsteht am Ende eine vollkommen neue souveräne Bildform. Die Pflanzen sind keine Abbilder der Natur, sie erinnern nur an Pflanzen, die wir aus der Natur kennen. Sie sind nicht identisch, sie sind imaginär. Angela Eisenköck malt erstaunlicherweise eben nicht wie üblich blühende Blumen, sondern ist interessiert an ihrer Phase des Verwelkens und Vergehens, an der Vergänglichkeit und Endlichkeit der Schönheit der Blumen als Paraphrase auf das Leben. Daher wirken sie in gewisser Weise gespenstisch, spukhaft, geisterhaft. Diese Tendenzen zum Mysteriösen und Surrealen rufen die psychodelischen Stimmungsbilder der Filme von David Lynch hervor. Gerade damit trifft sie die Stimmung der Zeit, von den sogenannten Geisterspielen in den Fußballstadien bis zur Hauntologie in der Philosophie von Jacques Derrida bis zu Mark Fishers „Gespenster meines Lebens“ (2015). Wir sehen eine erstaunliche Hauntologie der Pflanzenwelt, eine paradoxe, blühende Geisterwelt der Pflanzen. Denn genau dies ist die Mentalität, die Stimmung der Epoche, nämlich die Empfindung, dass die Natur, wie wir sie kennen, bald etwas Vergangenes, etwas Geisterhaftes, etwas Gespenstisches sein wird. Dennoch entstehen die Bildwerke von Angela Eisenköck nicht aus einer pessimistischen Weltsicht. Daher werden diese auch getragen von einem ästhetischen Optimismus, denn die Bilder der Pflanzen widerspiegeln eben keine realen Pflanzen. Sie offenbaren einen Triumpf der Imagination. Das Imaginäre und Traumhafte ist die positive Seite der Hauntologie. Träume können nicht nur schrecklich, sondern auch schön sein. Und so sind die Bildwerke von Angela Eisenköck von traumhafter Schönheit.

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